Als die Aufsichtsräte der Volkswagen AG am 27. Oktober zusammenkamen, sollten sie eine Entscheidung treffen, die Wolfsburg schon ein Jahr lang in immer neuen Runden beschäftigt. Sie würden die neue Vorständin für IT und Organisation berufen. Hauke Stars (54) sollte den Job bekommen, studierte Informatikerin und bis Ende November 2020 im Vorstand der Deutschen Börse.
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Wartet auf das Ja: Hauke Stars soll Volkswagens IT übernehmen – und die Konzernorganisation gleich mit
Foto: Public Address / action press
Stars hatte die nötigen Vorstellungsrunden gedreht, alle waren einverstanden. Eine Formsache.
Wo man dabei war, sollten weitere Führungsthemen geregelt werden. Da war etwa die Frage, ob der niedersächsische Automobilgigant wieder einen Vorstand für seinen mit Abstand wichtigsten Markt braucht: China. Seit Anfang 2019 verantwortet Konzernchef Herbert Diess (63) das Geschäft dort persönlich. Doch angesichts der desaströsen Lage wäre er wohl einverstanden, das Amt wieder abzugeben.
Hiltrud Werner (55) würde keinen neuen Vertrag als Vorständin für Recht und Integrität bekommen. Ihr Ressort aber, auch das stand auf dem Plan, könnte anders als geplant doch fortbestehen. Und da waren noch die Verträge von Porsche-Chef Oliver Blume (53) und Personalvorstand Gunnar Kilian (46). Beide stehen bis Mai 2023 in der Pflicht; aber beide sollten vorzeitig neue Verträge unterschreiben, so wie Diess im Juli.
Doch als man sich tatsächlich traf, spielten die Personalien genauso wenig eine Rolle wie die mittelfristige Investitionsplanung, der man sich ebenfalls widmen wollte. Ein anderes Thema dominierte die Diskussion: Herbert Diess.
Die Vorstandsfragen könne man nur im Paket entscheiden, argumentierten Betriebsratschefin Daniela Cavallo (46) und IG-Metall-Boss Jörg Hofmann (65) für die Arbeitnehmerfraktion in Vorbesprechungen. Da gehöre auch das Amt des Vorsitzenden hinein. Denn Diess vertraue man nicht mehr.
Seitdem suchen Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch (70) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (62) als Vertreter der Kapitalseite gemeinsam mit Cavallo und Hofmann eine Antwort auf die Frage: Muss Herbert Diess gehen?
Diess hat diverse ähnliche Situationen erlebt, seit er 2015 von BMW kam; manchmal wirkt es, als provoziere Diess sie geradezu.
Schon kurz nach seinem Einsieg als Chef der Marke VW hatte er vor dem Aus gestanden. Im Frühjahr 2020 bezichtigte er das Aufsichtsratspräsidium krimineller Handlungen. Ein halbes Jahr später drohte er mit Rücktritt, falls er nicht vorzeitig einen neuen Vertrag bekomme. Immer ging es gut. Die Großaktionärsfamilien Porsche und Piëch stützten ihn, Zugeständnisse halfen: Diess überließ Ralf Brandstätter (53) den Vorsitz der Kernmarke VW, verzichtete auf den Verkauf ihm lästiger Marken wie Lamborghini.
Bekommt Diess die allerallerletzte Chance?
"Diess wird auch die Krise jetzt wieder überstehen", fasst ein enger Begleiter der Führungsspitze die allgemeine Einschätzung zusammen. "Er wird seine allerallerallerletzte Chance bekommen."
Der Mann könnte sich irren.
"Alles hängt an der Frage, ob Herbert Diess noch einmal so viel Vertrauen aufbauen kann, dass sie ihm diese letzte Chance wirklich geben", sagt einer der Volkswagen-Topleute.
Ob er die Lösung sehe? "Mir fällt keine ein."
Die im April angetretene Betriebsratschefin Daniela Cavallo hat das Machtgefüge in Wolfsburg verändert. Sie gab Herbert Diess einen Vertrauensvorschuss, als die Arbeitnehmer dem neuen Vertrag für ihn nach heftiger interner Diskussion zustimmten.
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Stinksauer: VWs Betriebsratchefin Daniela Cavallo gilt als "extrem konsequent"
Foto: Patrick Slesiona
Doch anders als gedacht, dankte Diess ihr den Vertrauensvorschuss nicht. Hielt sich nicht an die Vereinbarung, die Arbeitnehmer in zentrale Fragen einzubinden. Stattdessen reihte er einen Alleingang an den nächsten.
So hatte das Aufsichtsratspräsidium Diess Ende September aufgefordert, seine radikalen Sparpläne zu beerdigen; von 30.000 gefährdeten Jobs war die Rede. Auch Wolfgang Porsche (78) und Hans Michel Piëch (79) stimmten in die Kritik ein.
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Doch Diess erklärte einen Tag später im gesamten Gremium, warum ein massiver Personalabbau erforderlich war. Das war zu viel für Cavallo. "Sie ist extrem sachlich", analysiert ein Topmanager. "Die sucht nicht jeden Streit. Aber wenn sie sich einmal entschieden hat, ist sie extrem konsequent."
Während also Diess Volkswagen zu einem Techkonzern ummodeln will mit 10 Prozent Umsatzrendite nach 2025, hat er das Vertrauen der Arbeitnehmer verloren. Das in Verbindung mit aktuell schwachen Leistungen ergibt einen gefährlichen Cocktail.
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Diess findet kein Mittel gegen die Halbleiterkrise; VW, Škoda und Seat haben im dritten Quartal Verlust geschrieben, zusammen waren es knapp 400 Millionen Euro. VW fällt weiter zurück im Rennen gegen den kalifornischen Elektropionier Tesla.
Die VW-Aktie verlor nach einem Zwischenhoch im Frühjahr gut 20 Prozent. "Der Laden läuft aus dem Ruder", sagt ein Betriebsrat; das bewege ihn mehr als ständige Wortbrüche.
In China hat VW nicht nur Marktanteile verloren. Es gibt Ärger mit den Joint-Venture-Partnern Saic und FAW – und damit indirekt auch der Regierung. Die Hälfte des Gewinns dort geht an die Partner; pro Auto landet im Durchschnitt weniger in Wolfsburg als beim Verkauf in anderen Regionen. Also ist China bei der Verteilung der knappen Chips im Konzern schlecht bedient worden, "und denen hat das gar nicht gefallen", wie einer der Mächtigen sagt.
Jetzt erwarten alle, dass die Chinesen 2022 mehr Halbleiter bekommen – und Europa weniger. Die Verkaufszahlen außerhalb Chinas würden auf das Niveau im Corona-Jahr 2020 zurückfallen, fürchten die Planer und dass die europäischen Fabriken so nicht annähernd ausgelastet werden.
Verzögerungen bei der Software
Auch der Aufbau der Softwareeinheit Cariad geht nicht voran; nicht einmal eine vor etwa einem Jahr angekündigte Rahmenvereinbarung für die Zusammenarbeit mit den Marken gebe es, berichten Beteiligte.
Der Porsche Macan und der Audi Q6 e-tron, beide elektrisch, sollten ursprünglich 2022 auf den Markt kommen. Inzwischen ist selbst der Start 2023 gefährdet. Einer der Gründe: Diess forciere stattdessen die Arbeit an der Softwarearchitektur 2.0 für das als autonomiefähig angekündigte Zukunftsmodell Trinity, stöhnen die Softwareleute. Es wird viel gegeneinander gearbeitet, wenig miteinander.
Diess' Kritiker im Management sehen einen neuen Beleg für einen alten Vorwurf: Der Konzernchef stoße vieles an, aber führe wenig erfolgreich zu Ende.
Selbst das frisch beschlossene neue Werk für den Trinity hat der Stimmung kaum geholfen. Außerhalb der alten Wolfsburger Backsteinmauern, aber in der Region. Logistisch ohne die Einschränkungen des Werksgeländes; die Chance, die Tesla-Fabrik in Grünheide zu übertrumpfen, die Diess schon vor deren Produktionsbeginn zum Vorbild erkoren hat. Der Konzernchef hätte die Gegenoffensive gemeinsam mit Cavallo ankündigen und zelebrieren können. Das Einzige, was er sich abrang, war eine Linkedin-Botschaft. Hängen blieb vor allem der herablassend wirkende Gruß an den Markenchef: "Sehr überzeugende Pläne, Ralf Brandstätter. Geht doch!"
Man vertraut sich nicht mehr in der Volkswagen AG des Herbert Diess. Wie also soll der Vermittlungsausschuss bis zum 9. Dezember eine Lösung für den Fall Diess liefern? Eines der üblichen Kompromisspakete werde nicht ausreichen; die Gespräche bis Mitte November hätten keine Annäherung ergeben, heißt es aus den Verhandlungsdelegationen. Klassenkampf in Wolfsburg!
Die Arbeitnehmerseite steht. Gegen Diess. Die Kapitalseite steht für ihn. Noch.
Die Porsches und Piëchs, mit 53 Prozent Stimmanteil in der Hauptversammlung weiter der mächtigste Faktor im Konzern, rückten nicht von Diess ab, berichten Beteiligte. Ihr Hauptargument: Die Finanzmärkte setzten auf Diess' Elektrostrategie, sie würden Volkswagen einen Wechsel an der Spitze nicht verzeihen.
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Wolfgang Porsche und Hans Michel Piëch dürften Diess erst kippen, wenn auch Stephan Weil den Konzernchef wechseln will. Der Ministerpräsident hat Diess im Aufsichtsrat kritisiert; er hat auf einer Betriebsversammlung Position für den Betriebsrat bezogen. Vor allem hätte er wohl gern Ruhe und gute Zahlen vor der Landtagswahl im Mai 2022.
Einen Vertrauenspakt ähnlich dem im Sommer erwarten wenige in Wolfsburg. Der Volkswagen-Chef werde sich eh nicht daran halten, glauben sogar viele seiner Verteidiger; er lasse sich von niemandem bremsen.
Einer von ihnen erzählte schon vor Jahren eine Geschichte aus der BMW-Historie. Herbert Diess, Mitte 40 damals und Lenker der Motorradsparte, sollte im Vorstand seine Pläne präsentieren, Konzernchef Helmut Panke (75) hatte ihm die Linie präzise vorgegeben. Diess hielt sich nicht daran. Panke schickte den Angestellten zurück; beim zweiten Anlauf möge er sich an die Vorgabe halten. Diess präsentierte sogar beim dritten Mal sein eigenes Konzept.
Er setzte sich durch. So etwas prägt
190 milionesimo parte dello scontro tra Diess e i sindacati. Cavallo e Hoffmann non sono riusciti a sfiduciare il ceo, le famiglie Porsche-Piech lo stanno difendendo a spada tratta mentre il governatore della Bassa Sassonia non ha avuto il coraggio di sfiduciarlo. Importanti decisioni vengono in tal modo bloccate, devono essere nominati i nuovi capi di Vw Cina e dell'IT. Intanto il progetto PPE (la base per Macan, Q6 et cetera) sta registrando preoccupanti bug, il rischio di un ripetersi dei problemi della ID3 sembra certo. Diess continua a provocare e a non tener conto dei rapporti di forza. Per adesso le famiglie lo sostengono, non potranno farlo in eterno.
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