erlin, Düsseldorf, München Bahnbrechend und wegweisend soll die Software von Volkswagen sein, so steht es auf der Internetseite der 2020 gegründeten Tochtergesellschaft Cariad. Doch nach Anlaufinvestitionen von mehr als sechs Milliarden Euro produziert das Zukunftsprojekt vor allem Ärger.
Die verschiedenen Programme sind stark verspätet und untereinander nicht kompatibel, versprochene Qualitätssprünge bleiben aus. Ursache für die Misere ist nach Informationen des Handelsblatts ein grundlegendes Zerwürfnis im Vorstand.
Anfang des Jahres übernahm der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess die Verantwortung für Cariad von Audi-Chef Markus Duesmann. Heute geben sich beide gegenseitig die Schuld für die Probleme. Auch Porsche-Chef Oliver Blume ist verärgert, passt die umstrittene Software doch nicht in die Erfolgsgeschichte für den geplanten Börsengang des Sportwagenherstellers.
Nun greift der Aufsichtsrat ein. Nach Handelsblatt-Recherchen hat Diess drei Wochen Zeit, um Lösungsansätze vorzulegen. Im Juli soll der Konzernchef dem Aufsichtsrat ein Konzept präsentieren. Aus dem Umfeld des Kontrollgremiums heißt es: „Offensichtlich ziehen nicht alle an einem Strang, daher muss der Aufsichtsrat nachfassen.“
THEMEN DES ARTIKELS Volkswagen Audi Aufsichtsräte Porsche Automobilindustrie Führungsstrategien Autonomes Fahren Herbert Diess Markus Duesmann Oliver Blume Stephan Weil Ferdinand Piëch Mercedes-Benz Group Skoda Die Zeit läuft VW davon. Der Konzernvertrieb muss den Kunden bald erklären, dass sich neue Vorzeigemodelle wie der elektrische Porsche Macan und die E-Limousine Artemis von Audi wegen der Cariad-Misere um bis zu zwei Jahre verspäten könnten. Gleichzeitig zieht der US-Konkurrent Tesla mit immer neuen Innovationen davon.
Ein Scheitern wäre desaströs
Jeder bei Volkswagen weiß, wie wichtig ein Erfolg bei der Entwicklung eigener Software wäre – und wie desaströs ein Scheitern. Erst vor einer Woche sprach VW-Chef Herbert Diess darüber auf offener Bühne in Bochum.
Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer hatte Diess zu seinem CAR-Symposium eingeladen. Auf dem Podium ließ sich Diess von den Problemen mit Cariad nichts anmerken. „Ganz begeistert“ sei er von den neuen Möglichkeiten, die Volkswagen dank der eigenen Entwicklung von Software habe, sagte Diess. Diese größte Herausforderung biete zugleich das größte Potenzial.
„Früher haben wir unseren Zulieferern die Programme geliefert und dann nicht mehr eingegriffen. Die sind dann zehn, fünfzehn Jahre gelaufen“, erzählte Diess auf der Fachtagung. Heute müsse die Software laufend angepasst werden. An das Fahrzeugmodell, an den Kunden, an das Umfeld. „Ständige Aktualisierung, wie beim Smartphone“, erklärte Diess. „Software gehört heute einfach zum Produkt dazu. Die können Sie nicht delegieren.“
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Er wolle das auch gar nicht. „Ich bin ja Autoingenieur“, sagte der VW-Chef. „Und wenn man überlegt, das Produkt in der Hand des Kunden noch mal anfassen zu können … das ist schon auch für einen Ingenieur ein ganz neues Erlebnis. Und eine große Freude.“
Nicht alle Zuhörer mochten Diess bei seiner Darstellung folgen. Manche von ihnen hatten andere Dinge aus der neuen Softwarewelt von Volkswagen gehört. Sie klangen wenig erfreulich. Manager aus Wolfsburg berichten von einem internen Kampf, der den ganzen Konzern lähmt. Weil die Entwicklung neuer Softwareplattformen nicht synchronisiert ist, werden nicht die Kunden von Porsche und Audi das fortschrittlichste Betriebssystem zuerst erhalten, sondern die Käufer von Massenautos der Marke VW.
Diess hatte früher als andere Autobosse erkannt, dass die Entwicklung eines Betriebssystems für Autos immer wichtiger wird. Was früher über Mechanik gelöst wurde, übernehmen künftig Halbleiter. So entstand Cariad.
Die mit Milliarden angeschobene Softwaretochter krankt allerdings an mehreren Geburtsfehlern. Ihre Entwickler arbeiten parallel an drei Softwarelösungen, von denen eine nicht kompatibel mit den beiden anderen ist. Ein Blick in die VW-Zukunft signalisiert doppelte Strukturen, doppelte Arbeit und Milliarden an Mehrkosten.
„Eigentlich müssten sich die Konzernvorstände Diess, Duesmann und Blume zusammen in einen Raum setzen und alle gemeinsam in die Verantwortung genommen werden“, sagt ein Cariad-Insider dem Handelsblatt. „Alle drei haben einen Anteil an der jetzigen Lage.“
Dass die Beteiligten dies nicht einsehen, ist das große Übel im Konzern, sagen Kritiker in Wolfsburg. Die missratene Softwareeinführung sei zwar ein Problem, mehr aber noch ein Symptom. Der Kampf um Cariad erlaube einen ungeschönten Blick auf das Führungsgefüge von Europas größtem Automobilhersteller. Auf Vorstände, die nicht mit-, sondern gegeneinander arbeiten. Und einen Aufsichtsrat, der alles nur noch schlimmer macht.
Aufgeblähter Konzernvorstand
Im Dezember 2021 beschloss das Kontrollgremium von Volkswagen eine Aufstockung des Vorstands von acht auf zwölf Köpfe. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch versprach sich davon „eine höhere Durchschlagskraft, um die strategischen Aufgaben der kommenden Jahre erfolgreich anzugehen“.
Mit der Ausweitung der Führungsetage wurden eigene Ressorts für Vertrieb, IT, China und die Volumengruppe (VW, Skoda, Seat) geschaffen. Jeder in Wolfsburg wusste freilich um den eigentlichen Grund des Umbaus: die Disziplinierung von Herbert Diess.
Der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen verlor im Dezember 2021 beinahe seinen Job. Diess ließ Szenarien durchrechnen mit dem Abbau von mehr als 30.000 Arbeitsplätzen, die Mehrheit davon in Wolfsburg. Rücksprache mit dem Aufsichtsrat hielt er vorher nicht.
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Die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wollten Diess daraufhin vor die Tür setzen. Die Familie Porsche/Piëch als größter Aktionär hielt zu Diess, auch weil sie ihn für den Börsengang der Sportwagentochter Porsche braucht. Nach viel Gezeter durfte er seinen Posten behalten, aber es war nicht mehr derselbe.
Die neuen Vorstände um Diess herum nahmen ihm Kompetenzen ab. Manfred Döss, aufgrund seines engen Drahts zur Eigentümerfamilie eh schon ein starker Faktor im Konzern, wurde durch seine Berufung zum Rechtsvorstand aufgewertet. „Döss ist als Gegengewicht zu Diess vorgesehen“, sagt eine Person aus dem Umfeld der Familie.
Das Ergebnis: Die Macht des Vorstandschefs, der sich in der Rolle des großen Transformators von Volkswagen sieht, wurde beschnitten.
Es sei ein VW-typisches Durchwurschteln, bei dem jede Seite irgendwie zufriedengestellt werden sollte, berichten Mitglieder der Führungsspitze. Ein konstruktives Arbeiten sei im Vorstand aber kaum mehr möglich. Einer flüchtet sich in Sarkasmus: „Idealerweise arbeitet jeder für sich, dann kann niemand streiten.“
Von der Aufbruchstimmung, die Diess in den Konzern bringen wollte, ist wenig übrig. „Es herrscht ein Prinzip der Angst“, berichten Führungskräfte. Die Angstkultur sei ausgeprägter als zu Zeiten des Führungsgespanns Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch. Die Konfliktlinien seien weniger klar. Neuer Streit keimt, alte Allianzen brechen. Allen voran die zwischen Diess und Audi-Chef Markus Duesmann.
Der Audi-Chef und Herbert Diess schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Misere bei Cariad. imago images/sepp spiegl Markus Duesmann
Der Audi-Chef und Herbert Diess schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Misere bei Cariad.
Bild: imago images/sepp spiegl
Beide Manager sind keine Eigengewächse von VW. Diess begann seine berufliche Laufbahn bei Bosch in Stuttgart, wo er ab 1993 technischer Geschäftsführer wurde. Duesmann hatte seinen Karrierestart 1992 als Motorenkonstrukteur nebenan bei Mercedes-Benz.
Als Duesmann 2007 als Leiter Formel-1-Antrieb zu BMW nach München kam, wurde Diess dort gerade in den Vorstand berufen. Die beiden kamen gut miteinander zurecht. So gut, dass Diess den Kollegen nach seiner eigenen Berufung an die VW-Spitze im Jahr 2020 zu Audi holte.
Diess traute Duesmann zu, die vom Abgasskandal gebeutelte Tochter in ruhiges Fahrwasser zu führen. Doch die Zeiten, in denen sich die beiden Manager stützten und halfen, sind vorbei. Cariad ist dafür das beste Beispiel.
Vor einigen Wochen sorgte Duesmann dafür, dass die Softwaretochter von Außenstehenden durchleuchtet wurde. Die Beratungsgesellschaft McKinsey erhielt den Auftrag, genau nachzurechnen, was die vielen Tausend Entwickler von Cariad taten, welche Kosten das verursachte und wie diese im Verhältnis zu den Zahlen standen, die einmal geplant waren.
Die Mehrkosten in Milliardenhöhe, die McKinsey ausrechnete, nutzt ‧Duesmann konzernintern offenbar als Waffe gegen Diess. Der VW-Vorstandsvorsitzende ist der Ziehvater von Cariad. Niemand im Konzern vertritt so radikal wie Diess die These, Volkswagen müsse alle Software in seinen Fahrzeugen selbst programmieren, auf Kosten komm raus.
Allein der Umstand, dass Duesmann die McKinsey-Studie im Alleingang durchdrückte, zeigt die Härte des Machtkampfs. Welches Klima muss in einem Vorstand herrschen, in dem der eine den anderen mit einer Unternehmensberatung brüskiert?
Konflikt durch McKinsey-Studie
Diess wehrte sich, indem er anzweifelte, dass McKinsey überhaupt in der Lage sei, die Software von Volkswagen zu bewerten. Dann wendete er die Probleme bei Cariad gegen Duesmann selbst. Bis Ende 2021 sei doch Duesmann für die Softwaretochter verantwortlich gewesen, betont das Diess-Lager in internen Diskussionen. Erst zum Jahreswechsel übernahm der Vorstandsvorsitzende das Zepter für Cariad. Wenn dort also etwas schief lief, müsse sich Duesmann an die eigene Nase fassen.
Das Audi-Lager kontert: „Diess war als Vorstandschef bei wichtigen Fragen immer mit dabei und hat selbst mit immer neuen Einwänden für Verzögerungen gesorgt.“ Der Audi-Chef soll intern schon angekündigt haben, notfalls zum Äußersten zu greifen, wenn man ihm das Milliardendesaster mit der Software anhängen wolle.
Duesmann könne sich auch ein Leben außerhalb des Automobilherstellers vorstellen, heißt es im Kollegenkreis. Duesmann in kleiner Runde: „Ich bin richtig gut im Neinsagen.“
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Das sind Töne, die Aktionäre verschrecken. Duesmann steht kurz vor seinem 53. Geburtstag. Elf Jahre jünger als Diess und bisher mit einer untadeligen Bilanz bei Audi, galt der Münsterländer als beinahe natürlicher Nachfolger von Diess für das oberste Amt im VW-Reich: den Vorstandsvorsitz von Volkswagen. Mit dem Schwarzer-Peter-Spiel um Cariad schaden sich beide letztlich selbst, wie es im Umfeld des Aufsichtsrats heißt.
Dass die Manager selbst ein Einsehen haben, scheint unwahrscheinlich. Nach Handelsblatt-Informationen haben die Eigentümerfamilien von VW Diess darum gebeten, von einer Rückkehr der Konzernmarke Audi in die Formel 1 abzusehen. Zuvor hatte sich Duesmann dafür starkgemacht. Offiziell weist VW zurück, dass Diess versucht habe, Duesmann zu bremsen.
Der Porsche-CEO sorgt sich um die Auswirkungen auf den geplanten Börsengang. Reuters Oliver Blume
Der Porsche-CEO sorgt sich um die Auswirkungen auf den geplanten Börsengang.
Bild: Reuters
Auch hier ist die Lage unübersichtlich. Die Aussicht, einen dreistelligen Millionenbetrag in den Rennzirkus zu stecken, der mittlerweile nicht mehr in Deutschland, aber in Aserbaidschan, Bahrein und Saudi-Arabien fährt, findet im Konzern wenig Freunde, spricht Diess doch anderenorts oft von der Notwendigkeit, Kosten zu senken.
Angesichts der Problemlage, in der sich das Unternehmen befindet, sei ein Engagement selbst den Mitarbeitern kaum zu erklären, sagt eine Person mit Kenntnis der Lage. Zumal mit Porsche schon eine Marke diesen Weg geht. Mit den Plänen des Sportwagenherstellers ist die Familie einverstanden.
Duesmann beharrte trotzdem auf einem eigenen Formel-1-Engagement. Er sehe im Rennsport einen Imagegewinn für sein Unternehmen, sagte der Audi-Chef. Vor wenigen Wochen machten Diess und Duesmann die Pläne in scheinbarer Eintracht offiziell. Vor seinen Eigentümern steht Diess als Chef da, der die Wünsche seiner Großaktionäre nicht durchsetzen kann.
An diesem Zustand allerdings, sagen Insider, sind die Eigentümer selbst schuld. Die Entscheidung des Aufsichtsrates, den VW-Vorstand von acht auf zwölf Köpfe zu erweitern, habe sich als Fehler erwiesen. „Derart aufgeplustert ist der Vorstand kaum handlungsfähig“, sagt eine Führungskraft. Sie befürchtet: Jeder Vorstand und jedes Tochterunternehmen kämpft für sich allein.
Ausgerechnet beim Zukunftsprojekt Software ist genau das schon zu beobachten. Gegründet 2020 als Querschnittseinheit mit wegweisender Bedeutung für den ganzen Konzern, ist bei Cariad noch immer nicht festgelegt, wer im Alltagsgeschäft operativ die Entscheidungen fällt, berichten Konzernmitarbeiter. Die Abstimmung mit den Automarken des Konzerns sei entsprechend kompliziert.
Alleingang von Audi
Mittelfristig wird es nur schlechter. Noch im Mai sagte Cariad-Chef Dirk Hilgenberg „Nur gemeinsam können wir sicherstellen, dass VW auch in Zukunft erfolgreich sein wird.“ Inzwischen sind einige Hundert Entwickler, die sich Cariad von Audi geborgt hatte, zu ihrem Arbeitgeber zurückgekehrt. Die Ausleihfrist war abgelaufen, ein Verbleib bei Cariad offenbar wenig attraktiv.
Duesmann nutzt auch dies zum eigenen Vorteil. Er lässt die heimgekehrten Programmierer am Infotainmentsystem von Audi arbeiten. Es setzt auf die Betriebssoftware auf, die von Cariad kommt. Plangemäß sollte Cariad auch das Infotainment liefern. Doch Audi will nicht warten und entwickelt selbst.
„Wir betreiben da Schwarzbau“, unkt ein Mitarbeiter. Seiner Kenntnis nach hat Duesmann nicht mal seine Vorstandskollegen darüber informiert, dass Audi Software in Eigenregie fertigt.
Bei Porsche ist die Lage nicht besser. Vorstandschef Oliver Blume soll die Sportwagentochter auf Wunsch der Eigentümerfamilien 2022 an die Börse bringen. Vorher muss er Investoren erklären, wie seine Firma funktioniert.
„Wenn Blume und sein Finanzvorstand Lutz Meschke in die Gespräche gehen, dann können sie bei der Software nicht blank stehen“, sagte eine Führungskraft. Ideal wäre, wenn das Unternehmen das Thema selbst beherrscht – Investoren würden es dann höher bewerten. Aus der Not heraus soll Blume schon Pläne haben, die Infotainment-Software bei Apple einzukaufen.
Für Diess wäre damit das Chaos komplett. Während er auf Tagungen den Segen einer eigenen und einheitlichen IT-Lösung predigt, arbeitet die eine Konzerntochter an einer Insellösung, die andere will sie aus den USA zukaufen. Die fröhlichen Vorträge von Diess wirken in diesem Umfeld weltfremd.
Ganz anders formuliert es Cariad-Chef Dirk Hildenberg in einem Brief an seine Mitarbeiter Anfang Mai: „Es ist keine Überraschung, dass nicht alles nach Plan läuft.
Secondo Handrlsblatt a causa delle difficoltà incontrate da Cariad il rapporto tra Diess e Dusemann (ceo di Audi) volgerebbe al peggio. Il ceo di Audi ha guidato Cariad per 19 mesi e i risultati sono assai negativi. In più ha commissionato uno studio McKinsey che è stato portato all’attenzione delle famiglie Porsche Piech. Diess non è per niente soddisfatto della situazione, nella peggiore delle ipotesi si parla di 2 anni di ritardo nell’introduzione del progetto Artemis. A luglio ci sarà il redde rationem.
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